Jede Frau hat das Recht auf ein gewaltfreies Leben. Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern ein Verstoß gegen das Recht jedes Menschen auf körperliche und seelische Unversehrtheit.
1. Gewalt gegen Frauen ist auch in wohlhabenden Regionen wie Ottobrunn und dem Münchner Umland ein ernstzunehmendes Problem. Wo siehst Du die größten Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf Schutz- und Unterstützungsmöglichkeiten für betroffene Frauen?
Gewalt gegen Frauen ist kein Randphänomen und keine Frage des Einkommens. Sie betrifft Frauen aller Altersgruppen, Bildungsstände und Lebensrealitäten – auch in wohlhabenden Gemeinden und gut situierten Regionen wie unserem. Sie geschieht häufig im Verborgenen – in den eigenen vier Wänden, oft über Jahre hinweg. Und genau darin liegt eine der größten Herausforderungen: die Unsichtbarkeit und das Schweigen.
Als sozial engagierter Mensch sehe ich täglich, wie schwer es betroffenen Frauen gemacht wird, sich Hilfe zu holen. Die Wege sind lang, das Hilfesystem oft überlastet – und das gilt auch für unsere Region. Frauenhäuser und Beratungsstellen arbeiten am Limit. Es fehlt an Schutzplätzen, an Übergangswohnungen und an verlässlicher, niedrigschwelliger Beratung vor Ort. Die Unterstützungsangebote sind häufig zu zentralisiert und für viele nur schwer erreichbar.
Drei Herausforderungen sind dabei besonders zentral:
1. Akuter Schutz fehlt häufig dort, wo er gebraucht wird. Es kann nicht sein, dass Frauen in einer akuten Notsituation keinen sicheren Platz finden – sei es in einem Frauenhaus oder einer Schutzwohnung. Kommunen und Landkreise müssen hier gemeinsam Verantwortung übernehmen, Schutzplätze bedarfsgerecht ausbauen und schneller finanzieren.
2. Die Hürde zur Hilfe ist zu hoch. Betroffene brauchen wohnortnahe, vertrauliche Anlaufstellen – auch in kleineren Gemeinden. Beratungsangebote müssen dahin kommen, wo die Menschen leben, nicht umgekehrt. Digitale Lösungen und mobile Beratung können hier ergänzen, aber keine persönlichen Angebote ersetzen.
3. Ohne langfristige Perspektiven ist der Weg aus der Gewalt versperrt. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum trifft gewaltbetroffene Frauen besonders hart. Wer keine Wohnung findet, bleibt oft in der Abhängigkeit. Ohne finanzielle Sicherheit, Kinderbetreuung und psychologische Begleitung sind Schutzmaßnahmen nur ein erster, aber kein ausreichender Schritt.
Wir müssen als Gesellschaft – und insbesondere auch auf kommunaler Ebene – dafür sorgen, dass Gewalt gegen Frauen nicht länger „mitgemeint“, sondern konkret bekämpft wird. Das heißt: Schutz-, und Hilfs- sowie Präventionsstrukturen flächenendecken ausbauen und barrierefrei zugänglich machen.
2. Kommunen haben eine wichtige Rolle bei der Gleichstellung von Frauen. Welche konkreten Maßnahmen könnten Städte und Gemeinden wie Ottobrunn ergreifen, um Frauen in Beruf, Politik und Gesellschaft besser zu fördern?
Gleichstellung von Frauen ist kein Selbstläufer – sie braucht politisches Wollen, strukturelle Veränderungen und konkrete Maßnahmen, auch auf kommunaler Ebene. Gerade Städte und Gemeinden wie Ottobrunn haben dabei eine Schlüsselrolle, denn hier entstehen die Rahmenbedingungen, die das Leben und die Teilhabe von Frauen ganz unmittelbar prägen – ob im Beruf, in der Politik oder im Alltag. Was können Städte und Gemeinden wie Ottobrunn konkret tun?
1. Gleichstellungsbeauftragte stärken oder schaffen: Kommunale und städtische Gleichstellungsbeauftragte fördern und unterstützen – mit ausreichenden Ressourcen und klarer Verankerung in der Verwaltung – den Gleichstellungsbeauftragte sind eine wichtige Schnittstelle zwischen Bürgerinnen, Verwaltung und Politik.
2. Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Städte und Gemeinden wie Ottobrunn können durch bedarfsgerechte Kinderbetreuung, flexible Betreuungszeiten und Ferienangebote die Rahmenbedingungen schaffen, damit Frauen nicht zwischen Beruf und Familie zerrieben werden. Gerade alleinerziehende Frauen brauchen hier spürbare Entlastung.
3. Frauen gezielt in politische Ämter und Gremien bringen: Wir brauchen mehr Frauen in unseren Gemeinderäten, Ausschüssen und Führungspositionen – nicht nur als Symbol, sondern um echte Perspektivenvielfalt zu ermöglichen. Mentoring-Programme, politische Nachwuchsförderung und klare Bekenntnisse der Parteien sind dafür entscheidend.
4. Förderung von weiblicher Existenzgründung durch kommunale Zuschüsse, Beratungsangebote und Gründungswettbewerbe.
5. Öffentliche Sichtbarkeit und Bildungsangebote: Veranstaltungen zum Equal Pay Day, Workshops zu weiblicher Karriereplanung, politische Bildungsarbeit an Schulen: Die Kommune kann durch Kooperationen mit Schulen, Vereinen und der VHS das Bewusstsein für Gleichstellung stärken. Gleichstellung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die im Kleinen beginnt – bei jeder Stellenausschreibung, jedem Gemeinderatsbeschluss und jeder Unterstützungsmaßnahme für Familien.
3. Viele Frauenhäuser und Beratungsstellen in der Region sind überlastet. Welche kommunalen oder regionalen Lösungen siehst Du, um den Schutz und die Unterstützung von Frauen, die von Gewalt betroffen sind, in Ottobrunn und Umgebung zu verbessern?
Wenn ich an Ottobrunn und unseren Landkreis München denke, sehe ich eine Region mit hoher Lebensqualität und engagierten Menschen. Doch auch hier, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, erleben Frauen häusliche Gewalt – ein Thema, das oft im Verborgenen bleibt, aber unsere volle Aufmerksamkeit und entschlossenes Handeln erfordert.
Wir brauchen im Landkreis München verlässlichere Strukturen, um Frauen in Not besser zu unterstützen. Das beginnt mit ganz praktischen Maßnahmen – etwa mit dem Ausbau der bestehenden Schutzplätze. Das einzige Frauenhaus im Landkreis, das vom Sozialdienst katholischer Frauen Betroffenen Schutzraum bietet, kann nur eine begrenzte Zahl an Frauen aufnehmen. Es reicht schlichtweg nicht aus. Es braucht zusätzliche Schutzwohnungen, auch in kleineren Gemeinden wie Ottobrunn. Mehr Plätze in Frauenhäusern, könnten auch durch Kooperationen mit Nachbarkommunen geschaffen werden – denn nicht jede Gemeinde kann ein eigenes Haus tragen, aber gemeinsam lässt sich viel bewegen.
Ein Konzept, das mich besonders überzeugt, ist das sogenannte „Second Stage“-Modell. Dabei geht es um betreutes Wohnen nach dem Aufenthalt im Frauenhaus – also eine Art zweite Stufe der Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder. Kurz erklärt: Der SkF München mietet Wohnungen an, in denen Frauen mit ihren Kindern leben können, während sie weiterhin Beratung und Begleitung erhalten. Das hilft enorm, um den Weg in ein selbstständiges Leben zu erleichtern und zu verhindern dass gewaltbetroffene Frauen in die Gewaltbeziehung zurückkehren – ein Angebot, das wir im Landkreis weiter ausbauen sollten. Das Landkreis-Budget für sozial geförderten Wohnraum sollte ausdrücklich einen Topf „Second Stage“ ausweisen.
Was mich besonders bewegt: Es sind nicht nur die akuten Schutzplätze, die fehlen. Viele Frauen bleiben länger in den Einrichtungen, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden – eine Folge des angespannten Immobilienmarkts in unserer Region. Diese Situation blockiert wiederum Plätze für andere in Not. Es ist ein Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen.
In Gesprächen mit Menschen die im Gewaltschutzsystem arbeiten ist mir deutlich geworden: Wir brauchen ganz konkrete, kommunale und regionale Lösungen – und wir brauchen sie jetzt.
Zugleich haben wir im Landkreis München bereits wichtige Anlaufstellen, etwa die Interventionsstelle ILM oder die Beratungsangebote der AWO und anderer freier Träger. Diese leisten Tag für Tag wichtige Arbeit. Doch auch hier zeigt sich: Die Nachfrage steigt, und die bestehenden Ressourcen reichen oft nicht aus, um dem gerecht zu werden. Der Ausbau personeller und finanzieller Ressourcen ist hier dringend notwendig.
Was mir außerdem wichtig ist: Gute Konzepte müssen nicht neu erfunden werden. In München zeigt das Unterstützungsmodell MUM, wie eine enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Beratungsstellen und Fachkräften Betroffenen schnell und strukturiert helfen kann. Ich wünsche mir, dass wir auch im Landkreis solche Modelle aufgreifen und an unsere Gegebenheiten anpassen. Auch Mobile Beratungsangebote, die in die Gemeinden kommen, z. B. mit regelmäßigen Sprechstunden im Rathaus oder in Familienzentren, wären eine wertvolle Unterstützung für Betroffene.
Neben all dem müssen wir den gesellschaftlichen Blick auf Gewalt gegen Frauen in all ihrer Vielfalt schärfen, Bewusstsein zum Thema schaffen und ihr entgegenwirken – durch Aufklärungskampagnen und durch Präventionsarbeit in Form von Bildungsangebote in Schulen, Kitas und Vereinen etc.